Die Bundeswehr zu Gast bei uns. Thema: Obdachlosigkeit
so immer wieder ursprünglicher lernen können oder zumindest die Wege dafür gehen können. Denn wir wollen Lösungen für Menschen, deshalb nehmen wir jeden Menschen mit. Egal, welchen Hintergrund dieser hat. Somit gerne auch die Menschen, die unseren Frieden verteidigen.
Vor einigen Wochen habe ich mich mit Elke, der Standortpfarrerin, getroffen, um die Inhalte des lebenskundlichen Seminars für die III. Inspektionsgruppe zu besprechen. Wie gehen wir vor, was sind die Themeninhalte und Schwerpunkte. Schön, dass wir uns über eine Location keine Gedanken zu machen brauchten, denn das Unperfekthaus hatte uns eingeladen und bietet natürlich für so einen Anlass auch eine megatolle Atmosphäre. Schulungen im kreativen Raum: genau „unser Dingen“. So wurde der Zeitrahmen abgesteckt und wir haben uns auf 4 Stunden festgelegt.
Dann waren die Inhalte an der Reihe. Zunächst vereinbarten wir, dass wir auf Namen oder große Vorstellungsrunden verzichten und den Fokus mehr auf „Mensch zu Mensch“ setzen wollten. Und, ein sehr wichtiger Punkt, die Raucherpausen gut einplanen mussten. Wir waren uns allerdings sehr schnell einig, was der Kerninhalt sein wird: Ein World-Café. Das Thema World-Café bietet die Möglichkeit, großen Gruppen relativ schnell Inhalte zu vermitteln. Es werden kleinere Gruppen gebildet, in denen man rotierend eine vorgegebene Zeit an einem Diskussionstisch verweilt. Nur der Moderator bleibt am jeweiligen Tisch. Die Moderatoren waren alle von uns. So sah die Agenda dann aus:
1. Begrüßung
2. Einstieg - Stichworte sammeln
3. Vorstellung der Beteiligten
4. Raucherpause
5. World-Café mit 4 Themen:
a) Sind Obdachlose sozialer?
b) Was kann man tun? Welche Hilfe wirkt?
c) Bettlermafia und Pfandsammler
d) Teufelskreis Obdachlosigkeit und Kriminalität
6. Getränkepause
7. Auswertung der Gruppenergebnisse - Zusammenfassung
8. Offene Fragestunde
Die Idee von Elke war, ob nicht ein oder zwei Obdachlose ihr Schicksal präsentieren können. Ich musste mir bei der Frage vor die Stirn klatschen. Denn sonst denke ich immer dran: „Lieber mit den Menschen reden, als über diese“. Na klar versuchten wir, dies hinzubekommen. Es gestaltete sich aber für uns schwierig. Nur R. sagte spontan schon drei Wochen vorher zu. Das fanden wir alle mutig. Andere sagten auch zu, leider sind sie dann aus gesundheitlichen Gründen nicht erschienen.
So starteten wir also mit 19 Soldaten, Elke und von uns die Moderatoren: Markus C., Astrid, Cristina, Katharina und später noch Petra, dazu R. mit seinem Schicksal und ich.
Zunächst fragte ich bei der Vorstellungsrunde, wer schon mal Berührung mit Obdachlosen hatte, sei es durch den Kauf einer Obdachlosenzeitung oder den Kauf eines Kaffee für jemanden auf der Straße. Es waren leider wenige. So wuchs bei uns von EPA die Hoffnung, dass wir dies in den nächsten Monaten/ Jahren deutlich verbessern könnten.
Nach der Vorstellungsrunde kam dann R. mit seiner Lebensgeschichte zu Wort. Er hatte schon einiges in Schriftform vorbereitet. Das sah sehr professionell aus und ließ uns befürchten, dass er ablesen würde. Aber weit gefehlt: Das Papier war nur für Stichworte. Er sprach von der Leber weg in einer die Soldaten beeindruckenden Art. Seine Soldatenzeit, seine Auslandsliebe, alles wurde thematisiert. Besonders, wie schnell es einen ereilen kann, selber obdachlos zu werden. Dass es manchmal für „Normalos“ ganz banale Dinge sein können, die zu Obdachlosigkeit führen. Bei ihm war es die Ehe, die Forderung, mehr zu Hause zu bleiben und damit der Arbeit fernzubleiben. Zuerst zerbricht die Ehe, dann fällt der Job weg und der Teufelskreis nimmt seinen Lauf. Die Rückfragen der III. Inspektion zeigten sodann das sehr große Interesse, mehr zu erfahren. Es waren intelligente, schlüssige Fragen. Das Schicksal berührte. Danke R. für das „Augen öffnen“. Ich kannte bisher auch nur bestimmte Lebensabschnitte seiner Vita. Mich berührte dies umso mehr und ich freue mich über die neuen Chancen von R. in naher Zukunft. Denn er hat den Absprung geschafft und steht vor einem Neuanfang. Alles Gute dafür!
Danach war eine kurze Pause und das World-Café startete. R. schloss sich der 4-er Gruppe an, sodass alle Teams zu fünft waren. Elke und ich waren Supervisor, die von Tisch zu Tisch gingen und die Uhr im Blick hatten. Ca. 15 Minuten durfte jeder Tisch wild diskutieren, dann wurde gewechselt.
Elke und ich waren sehr gespannt, wie die Sache angegangen werde und ob man sich direkt in diesem für die meisten (auch bei uns!) neuen Format zurechtfinden könne. Es klappte sehr gut, es wurde eifrig diskutiert und aufgeschrieben. Alle haben sehr aktiv mitgearbeitet. Jeder Zettel war danach voll. Die jeweils letzte Gruppe an den Tischen war verantwortlich für das Vortragen der Ergebnisse. Es war für alle eine total interessante und spannende Reise. Es wurde offenkundig, dass nicht immer alles einfach zu lösen ist. Und bei nahezu allen Fragestellungen wurde klar, dass obdachlose Menschen ein Spiegelbild der Gesellschaft sind und kein Stempel, der schon alleine zu Vorurteilen berechtigt.
Einige Fragen waren bewusst einfach gewählt, andere etwas „zäher“. So z.B. „Sind Obdachlose sozialer?“. Die erste Gruppe diskutierte, ob es nicht „Sind Obachlose sozial?“ heißen müsse. Eine schon für den ersten Moment bemerkenswerte Diskussion. Im späteren Verlauf klemmte es ab der 3. Gruppe mit neuen Inhalten. Den Fokus haben wir dann ein bisschen modifiziert. Sie sollten einfach mal die Fragestellung um neue Gedanken erweitern/ verändern. Die Frage „Sind Menschen sozial?“ und „Was ist sozial(er)?“ standen fortan im Raum für neue, zusätzliche Inhalte.
Am Tisch „Bettlermafia und Pfandsammler“ hat die erste Gruppe gegensätzliche Verhaltensweisen herausgearbeitet. Die einen aggressiv, die anderen scheu. Die einen allein, die anderen organisiert.
Die Gruppe „Was kann man tun? Welche Hilfe wirkt?“ war schon eine Wellness-Gruppe. Hier konnten viele durch Medien bekannte Ideen aufgeschrieben werden, aber auch für uns bewährte Ansätze wurden aufgezeigt. Natürlich kam „einfach machen“ auch drin vor. Also wir.
Kontrovers innerhalb der Tischgruppen ging es bei „Teufelskreis Obdachlosigkeit und Kriminalität“ zu. Hier den roten Faden alleine fürs Aufzeigen auf einem Blatt Papier festzuhalten, gestaltete sich schwierig.
Den Nachmittag über standen wir natürlich für Fragen darüber, was wir alles machen und warum wir es machen, in gewohnter Art und Weise zur Verfügung.
Was die Bundeswehrsoldaten direkt mitgenommen haben, ist die Handlungsempfehlung, einen Obdachlosen in der Innenstadt einfach mal zu fragen, ob er einen Kaffee oder ein Brötchen haben möchte. Aber auch mit einem Augenzwinkern, dass man nicht ganz so streng sein solle, wenn er dies nicht haben möchte, weil wir zuvor ihn schon mit Suppe oder Kaffee versorgt haben.
Uns hat der Nachmittag riesig Spaß gemacht, obwohl (oder vielleicht gerade weil) sich der größte Teil von uns für dieses Seminar extra Urlaub genommen hatte. Wir machen unser Ehrenamt mit Herzblut und freuen uns sehr, andere Menschen damit zu berühren.
Egal ob FSJ, Bundeswehr oder eine Schule: Wir informieren gerne, wir klären auf, wir möchten jeden vor so einem Schicksal bewahren. Und gerne jeden herausholen, wenn es sich nicht um „selbstgewählt“ handelt.