Essen packt an!

Obdachlosenbotschaft - Neues vom 11.12.2016

Leider haben wir zur Jahresmitte, wie einigen von euch bekannt ist, unsere Obdachlosenbotschafterin verloren. Die Menschen, die von der Obdachlosenbotschaft als solches betreut worden sind, sind allerdings noch alle da. Sie wurden nicht immer von unserer Botschafterin persönlich betreut, aber sie hatte stets ein offenes Ohr, wenn wir nicht weiter wussten. Und die Menschen brauchen uns.
So wie Carola*, knapp über 20 Jahre. Unsere erste Kundin, bei der wir uns um mehr als um Suppe, Kleidung und warme Worte kümmern mussten. Wir haben sie in eine Klinik bringen können. Wäre uns dies im Januar 2015 nicht gelungen, so hätte sie heute mindestens ein Bein weniger. Sie hatte eine offene Wunde, die nicht verheilte. Abszesse und andere, nicht grade appetitliche Dinge begleiteten sie auf ihrem Weg. Auf ihrem Weg, z.T. raus aus Prostitution oder auch weg von Kokain. Und ja, sie ist wirklich erst knapp über 20 Jahre. Seit ihrem 11. Lebensjahr lebt sie

auf der Straße. Mit schrecklichen ersten zwei Lebensjahren wurde der Grundstein für ein bis jetzt nicht normales Leben gelegt.  Sie wurde im Herbst festgenommen, weil gegen sie Anzeigen vorlagen. Anzeigen wegen, aus unserer Sicht, Armutsdelikten. Innerhalb von 2,5 Jahren ist sie 29 mal schwarzgefahren. Schwarzgefahren für Methadon, vielleicht auch für andere Drogen. Sie hat in der Zeit nie Hartz IV oder Ähnliches bezogen.
Hier kann man sicherlich über das Für und Wider streiten. Aber bevor sich die Gesellschaft den Kopf über ein bedingungsloses Grundeinkommen zermartert, wie wäre es mit einer Debatte, den ÖPNV kostenlos für jeden Menschen zu gestalten? Damit eine Omi keinen Fahrschein am für sie unübersichtlichen Automaten mehr ziehen muss? Damit Kinder nicht vom Busfahrer auf die Straße gesetzt werden, weil sie ihr Schoko-Ticket zu Hause vergessen haben? Damit der Mensch mit Migrationshintergrund, der nicht versteht, dass Deutsche Bahn Tickets abgestempelt sind und EVAG Tickets nicht (oder war es umgekehrt?), nicht bestraft wird. Aber auch, damit für den Wohnungslosen, der vielleicht doch den Versuch unternimmt, zum Job-Center zu gehen, um aus seiner Misere herauszukommen, eine Möglichkeit zur Fahrt besteht? Sozialromantik? Ja, aber Romantik und sozial hat den Menschen noch nie geschadet.
Zurück zu Carola*. Sie wurde festgenommen und ihre Gewahrsamsfähigkeit wurde vom Amtsarzt in Zweifel gestellt. So kam sie in das Justizvollzugskrankenhaus. Das Gute daran ist, dass sie dort operiert und nach deutschem, hochwertigem Standard versorgt wird. Ihr Bein -mittlerweile bestand wieder die Gefahr, dass sie es verliert- wird in der Klinik von Tag zu Tag besser. Auch die erkennbaren Erfrierungen nehmen ab.
Wie stehen die Erfolgsaussichten für so einen jungen Menschen, wieder in das für viele von uns „normale Leben“ zurückzukehren? Der Richter ist der Staatsanwaltschaft gefolgt, dass die Sozialprognose negativ ist. Wir hoffen, dass sie nicht noch weitere „Runden drehen“ muss und ihr Wunsch nach Ausstieg und Lebensveränderung ernst gemeint ist und nachhaltig angegangen wird. Sie wurde zu 6 Monaten verurteilt.  Wenigstens kann die Behandlung im Krankenhaus konsequent fortgeführt werden. Aus unserer Sicht der einzige Lichtblick.
Der nächste Prozess ist im Erwachsenenstrafrecht. Das ist nochmal eine ganz andere Nummer. Und wir werden auch dann für sie da sein. In der Hoffnung, dass sie auch wirklich ihr Leben ändern möchte. Aus freien Stücken.

*Name geändert oder auch nicht.

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